Die Weltauswahl

Der Berner Drittligist FC Bosporus vereint 16 ­Nationen in einem Team. Trotz unterschiedlichster Hintergründe ist der Zusammenhalt sehr gross.

An den Spieltagen prangt auf ihrer Brust jeweils der türkische Halbmond. Im Training jedoch sind ganz viele Nationaltrikots zu sehen. «Das sind meine Jungs», sagt Çetin Tiryaki, Präsident des FC Bosporus, während seine Spieler für ein Mannschaftsbild posieren. Albanien, Bolivien, Bosnien, Brasilien, Deutschland, Ecuador, der Irak, der Iran, Italien, Nigeria, Schweden, Schweiz, Serbien, Spanien, Türkei, Vietnam.

Doch die Trikots sind nicht zufällig ausgewählte Sympathiebekundungen gegenüber einer beliebigen Nation, nein, sie stehen für die Wurzeln der einzelnen Spieler. Die Grosseltern, Eltern oder ein Elternteil kamen in die Schweiz. Ihre Enkel oder Söhne wuchsen in Bern und Umgebung auf. «Es ist ein Mosaik», sagt Tiryaki. Erst durch das Zusammenfügen der einzelnen, verschiedenfarbigen Teile ergibt sich ein schönes Bild (hier geht es zum Bild).

Im Verein zu Hause

Der FC Bosporus ist speziell, denn anders als klassische Migrantenteams, die Spieler der gleichen Herkunft vereinen, sind die Berner ein Schmelztiegel der Kulturen. «Religion und Politik spielen hier keine Rolle, jeder ist willkommen», sagt Tiryaki, seit 38 Jahren Teil des Vereins, der 1972 von türkischen Gastarbeitern gegründet wurde.

Im Training heute wird Berndeutsch gesprochen. Lucca Barbery, schweizerisch-bolivianischer Doppelbürger, erzählt, wie er bei Bosporus die Freude am Fussball wieder entdeckt habe. «Doch es geht nicht nur um Fussball, es geht um die Leute.» Im Gespräch mit den Mitgliedern des FC Bosporus fällt ein Satz immer wieder: «Wir sind eine Familie.» Çetin Tiryaki erzählt, wie schon viele Spieler Geld angeboten bekommen hätten, um zu einem anderen Klub zu gehen. «Doch keiner ist gegangen.» Und Tiryaki weiss warum: «Hier fühlen sie sich zu Hause.» Der Stolz in seinen Worten ist spürbar.

Abbild der Generation

Die Berner spielen seit Jahren in der Drittliga vorne mit, für den Aufstieg hat es indes noch nie gereicht. Zusätzlich zum sportlichen Kampf kommt es auf den Fussballplätzen manchmal auch zu jenem gegen Vorurteile und Verunglimpfungen «Man wird sofort als Ausländer abgestempelt, obwohl alle hier geboren sind», erzählt Çetins Bruder Mustafa Tiryaki, der neben seinem Amt als Sportchef momentan auch als Trainer tätig ist. «Gegen Bosporus zerreissen sich die Gegner und wollen unbedingt gewinnen.»

Doch Vorurteile haben beim FC Bosporus keinen Platz. Das Team sei Abbild der Generation von Jungen, die heute in der Schweiz lebe, sagt Matthias Ackle, der einzige «Schweizer» im Team. Und Captain Duy Nguyen sagt: «Wir sind alles junge Menschen, die dieselbe Sprache sprechen, und die ist Fussball.»

Der gebürtige Vietnamese ist seit 12 Jahren beim FC Bosporus. Damals, als 17-Jähriger, war er der einzige nicht türkischstämmige Spieler im Team. «Damals wurde die Aufstellung vor dem Spiel noch auf Türkisch bekannt gegeben», erinnert sich der 28-Jährige. Seine Türkischkenntnisse hat Nguyen in der Zwischenzeit zwar nur marginal ausgebaut, aber viele Erlebnisse und Erinnerungen hat er trotzdem. Zum Beispiel daran, dass der FC Bosporus zu der Zeit, als er seine Anmeldung ausfüllte, einen schlechten Ruf hatte und er sich deshalb zwei Wochen Bedenkzeit gab, bevor er erstmals ins Training ging. Kollegen rieten ihm davon ab, aber «ich wollte mir selber ein Bild machen».

Oder an die Zeit, als nur vier, fünf Spieler ins Training kamen und man sich kurzerhand entschloss, darauf zu verzichten und nur noch die Matchs zu spielen. Am vergangenen Freitag trainierten nicht weniger als 23 Spieler. «Mir geht das Herz auf, und es ist eine Riesenfreude, das zu sehen», sagt Nguyen. «Ich könnte ein Buch schreiben über Bosporus, es gibt so viel zu erzählen.»

Trotz aller internationalen Einflüsse, beim FC Bosporus wird auch Wert auf traditionell schweizerische Tugenden gelegt wie Pünktlichkeit und Disziplin. Seit dieser Saison gibt es einen Bussenkatalog. Bei Zuspätkommen, falschem Tenue oder Un­diszipliniertheiten während der Spiele ist ein Betrag in die ­Klubkasse fällig. Mit dem Geld soll ein Trainingslager mitfinanziert werden, die Berner waren nämlich noch nie in einem. Am liebsten soll die Reise natürlich an den Bosporus gehen, vielleicht auch nach Italien. Aber der FC Bosporus ist auf der ganzen Welt zu Hause. (Berner Zeitung)

 

Beitrag von BZ: Berner Zeitung, erstellt: 20.09.2016, 13:34 Uhr
https://www.bernerzeitung.ch/sport/fussball/Die-Weltauswahl/story/16104965

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